Die weiße Göttin

Eine Geschichte der Meerschaumpfeife

Es beginnt tief unter der Erde. In den staubigen Schächten rund um Eskişehir, in Orten wie Sarisu, Türkmentokat, Sepetçi und Karatepe, graben Männer mit bloßen Händen und einfachen Werkzeugen nach einem Gestein, das in der Welt seinesgleichen sucht: Lületaşı – Meerschaum. Weiß wie Marmor, porös wie ein Schwamm und so leicht, dass es auf Wasser schwimmt.

Seit über 250 Jahren wird dieses kostbare Mineral aus bis zu 80 Meter tiefen Gruben gewonnen. Keine leichte Arbeit – eng, stickig, gefährlich. Und dennoch ist es ein Beruf, der von Generation zu Generation weitergegeben wird. Es sind nicht die Reichtümer, die die Menschen an diese Kunst binden. Es ist der Stolz. Die Würde, aus einem unscheinbaren Stein etwas Zeitloses zu schaffen.

Berühmt für die Reinheit und Homogenität des Meerschaums.

Traditioneller Abbauort mit jahrhundertelanger Geschichte.

Bekannt für hochwertiges Material zur feinen Bearbeitung.

Liefert wertvolles Gestein für die Kunsthandwerker

Ali Osman Denizköpüğü

Der König des Meerschaums

In dieser Welt wuchs einst ein Junge heran, der später als „Lületaşının kralı“, als „König des Meerschaums“, in die Geschichte eingehen sollte: Ali Osman Denizköpüğü (1897–1961). Bereits in den 1920er Jahren begann er mit seiner Arbeit, in einer Zeit, in der Pfeifen noch in adeligen Salons und Literatenkreisen zu Hause waren.

Was viele nicht wissen: Seinen Nachnamen „Denizköpüğü“ – zu Deutsch: „Meerschaum“ – erhielt er von niemand Geringerem als Mustafa Kemal Atatürk selbst. Ein Zeichen höchsten Respekts für sein Können und seine Bedeutung für das türkische Kunsthandwerk. Ali Osman Denizköpüğü war nicht nur ein Meister seines Fachs. Er war ein Lehrer, ein Wegbereiter. Viele der heute tätigen Pfeifenmacher führen ihre Ausbildung auf ihn zurück.

Zwischen Eskişehir und Wien

Eine Pfeife erobert Europa

Schon im 17. Jahrhundert kamen die ersten Meerschaumpfeifen mit osmanischen Händlern nach Europa. In Wien, wo man bald den kühlen Rauch der „weißen Göttin“ schätzte, nahm die Erfolgsgeschichte ihren Lauf. Doch der eigentliche Ursprung, das Herz des Handwerks, schlug stets in Anatolien.

Mit der Entscheidung der türkischen Regierung im Jahr 1961, den Export von rohem Meerschaum zu untersagen, sollte der Wert dieses Kulturguts geschützt werden. Von nun an durfte das Material nur noch in verarbeiteter Form ausgeführt werden – eine Maßnahme, die den Druck auf die Handwerker nicht minderte, sondern sie umso mehr zur Qualität zwang.

Ob dies eine wirtschaftliche Renaissance bedeutete, lässt sich schwer sagen. Viele dieser Kunsthandwerker leben bis heute bescheiden. Doch der Stolz auf ihr Werk, die Liebe zur Tradition – sie sind bis heute ungebrochen.

Vom Stein zum Kunstwerk

Die Herstellung einer Meerschaumpfeife ist ein Akt der Geduld. Der Stein wird per Hand zugeschnitten, geformt, geschnitzt – jedes Stück ein Unikat. Die besten Pfeifen stammen aus dem Abbaugebiet Sarisu, dessen Meerschaum für seine Reinheit und Homogenität berühmt ist. Auch Türkmentokat, Sepetçi und Karatepe liefern wertvolles Gestein, das sich zur feinen Bearbeitung eignet.

Die fertigen Pfeifen werden in einem aufwändigen Verfahren zweifach versiegelt, um die Oberfläche zu schützen. Wer sich einen gelblich schimmernden Ton wünscht, erhält seine Pfeife zusätzlich mit feinem gelben Bienenwachs behandelt – eine Technik, die nicht nur der Schönheit dient, sondern auch die charakteristische Farbveränderung unterstützt: Mit jeder Raucheinheit dunkelt die Pfeife nach – zuerst honigfarben, später bernstein- und kastanienbraun. Ein lebendiges Tagebuch des Genusses.

Früher riet man, Meerschaumpfeifen nur mit Samthandschuhen anzufassen, um Flecken zu vermeiden. Heute ist das nicht mehr nötig. Unsere Pfeifen sind für den echten Gebrauch gemacht – schön, aber nicht fragil, kunstvoll, aber alltagstauglich.